Einstimmung
Bantin im Jahr 1928, eine epochale Einstimmung in den Eisenbahnbetrieb
Langsam senken sich die Schranken über der Dorfstraße der kleinen mecklenburgischen Siedlung Bantin. Es sind die typischen Reichsbahnschranken, weiß, mit zwei roten Ringen in der Mitte, ohne Behang. Kalt ist es am frühen Morgen des 17. Dezember 1928, eigentlich hätte bereits Schnee liegen sollen.
Nun wird die Einfahrt gezogen, zwei Flügel für den Durchgangsgüterzug aus Richtung Ratzeburg, kurz DG genannt. Wir konnten das Spitzenlicht schon lange erkennen, so gerade ist hier der Streckenverlauf. Der DG wird in Bantin auf die Seite genommen, langsam rollt die Wittenberger 56 2895 mit einem PWG14 und einer langen Reihe weißer Kühlwagen an uns vorbei, frischer Ostseefisch für die Hauptstadt. Die G8.3, eine bullige Zweizylindermaschine mit der Achsfolge 1D, zieht weit vor und kommt neben dem Stellwerk Bo zum Stehen.
Sie hat den Weg freigemacht für D64, dem Starzug der Strecke. Sein Laufweg führt von Berlin über Hagenow Land und Ratzeburg bis nach Kiel, er sollte planmäßig um 7:50 Uhr hier durchkommen. Doch noch tut sich nichts, der Zug ist verspätet heute. Langsam setzt die Dämmerung ein, kalter Nebel steigt auf über Häusern und Felder.
Die Sicherheitsventile der Güterzuglok beginnen ungeduldig zu säuseln, der Heizer hatte gut Dampf gekocht. Aber vergeblich, er muss die Feuertür aufreißen, um durch den kalten Luftstrom den Kessel etwas abzukühlen. Der Feuerschein beleuchtet die beiden Männer auf dem Führerstand, ein gespenstisches Bild in der Dämmerung!
Der Lokführer nutzt den unfreiwilligen Halt zu einem Rundgang um die Lokomotive. Er hat die Triebwerksbeleuchtung eingeschaltet und kontrolliert mit dem Handrücken die Erwärmung der Gleitlager, alles in Ordnung. Als er vorn vor der Lokomotive steht, können wir erkennen, dass er unter der Jacke eine Krawatte trägt, obwohl er als Führer einer Güterzuglokomotive kaum im Licht der Öffentlichkeit steht. Der Heizer putzt unterdessen die Armaturen auf dem Führerstand. Die Lokomotive ist dem Personal fest zugeordnet und zeigte sich demzufolge in bestem Pflegezustand.
Dann - endlich! Von Hagenow her nähert sich ein schwacher Lichtschein, der schnell heller wird. Die Dampfwolke liegt flach über dem Zug, der mit über 100 km/h über die Strecke jagt. Durch die hohe Geschwindigkeit sind keine einzelnen Auspuffschläge mehr auszumachen, es ist vielmehr ein infernales Grollen, dass die Vierzylinder-Verbundlokomotive der Baureihe 17.10 da von sich gibt.
Es ist 17 1172 vom Bw Berlin Lehrter Bahnhof, eine S10.1 des Bauloses von 1914, das Paradepferd der früheren preußischen Staatsbahn, das da an uns vorüberdonnert, so dass die Scheiben des Stellwerkes erzittern. Der Zug besteht aus fünf oder sechs D-Zugwagen der neuen 28er-Reihe, dazu ein Gepäckwagen unmittelbar hinter der Lokomotive, der gleichzeitig als Schutzwagen fungiert. Der mecklenburgische Streckenabschnitt ist als eingleisige Hauptbahn ausgebaut, im schleswig-holsteinischen zwischen Lübeck und Eutin liegen Teile des Laufweges von 17 1172 noch in Kiesbettung, das sind die Gegensätze der Eisenbahn zu jener Zeit.
Kurz nach der Durchfahrt von D64 kommt wiederum Bewegung in die Drahtzuleitungen, unser DG erhält Ausfahrt in Richtung Hagenow. Weithin hallen die dumpfen Auspuffschläge der anfahrenden Zweizylinderlok durch das flache Land, langsam reiht sich Wagen für Wagen wieder in das Hauptgleis ein. Der Zug beschleunigt bis auf 60 km/h, das ist bereits die Höchstgeschwindigkeit der G8.3.
Der Güterschuppen
Nun kehrt wieder Ruhe ein in Bantin, Gelegenheit für uns, den Güterschuppen genauer zu betrachten. Vor wenigen Jahren wurde beim Ausbau der Strecke das Stellwerk vom Bahnsteig an den Schuppen verlegt. Es ist ein Einheitsbau, wie er gleichermaßen an den kleineren Bahnhöfen der Strecke vorhanden ist, in Sierksrade, Kastorf oder Schmilau. Der Fußboden liegt relativ hoch, da von hier aus über die Reisenden hinweg der nahe Bahnübergang eingesehen werden muss. Viel Platz hat das Stellwerk für die Rampe nicht gelassen, ist das Stückgutaufkommen in Bantin ohnehin eher gering. Bereits den zwanziger Jahren setzte sich die Reichsbahn mit dem konkurrierenden LKW-Verkehr auseinander und führte u.a. den Stückgutschnellverkehr ein. In Bantin dagegen wird das Stückgut im Packwagen eines regulären Personenzuges mitgenommen, die kurze Haltezeit muss für den Güterumschlag ausreichen. Die Rampe wurde dazu bis auf drei oder vier Meter an das Bahnsteiggleis herangeführt, die verbleibende Lücke ist erforderlich, damit die Reisenden den hinteren Zugteil erreichen können.Wir werden das Verladen gleich beobachten können, denn gerade wurde die Beleuchtung über dem Schuppentor eingeschaltet. Der Güterbodenarbeiter öffnet die Tore und platziert die Ladung vorn auf der Rampe: Ein paar alte Stühle zur Polsterei nach Hagenow, zwei Kisten, deren Inhalt sich unseren neugierigen Blicken entzieht, sowie ein großer Lederriemen, das ist alles für heute. Der Riemen dient zur Verbindung der neumodischen Aveling&Porter Dampfmaschine mit einem Dreschwagen und ist offensichtlich einmal wieder gerissen...
Kurz nach 9:00 Uhr nähert sich von Ratzeburg der Personenzug, geführt von 38 2335 des Bw Neumünster. Hinter der Lokomotive ein Sammelsurium von zweiachsigen Personenwagen, dreiachsigen Abteilwagen, einem Wagen sächsischer Herkunft sowie ein G10 und ein Gl11 als Stückgutwagen. Der Zug führt die zweite und dritte Wagenklasse, die vierte wurde kürzlich durch Umnummerierung abgeschafft, ohne den spärlichen Komfort im Inneren wenigstens etwas zu heben. Es sind noch dieselben harten Holzklappbänke an den Außenseiten als einzige Sitzgelegenheit für die Reisenden.
Die P8 kommt mit kreischenden Bremsen punktgenau zum Halten, damit der Packwagen unmittelbar vor der Rampe steht. Die Schiebetür des Wagens öffnet sich und unser Güterbodenarbeiter hebt die drei bereitliegenden Holzbohlen über die Lücke bis auf die Ladefläche des Wagens. Nun kann der Güterumschlag schnell erfolgen, etwas wackelig zwar, aber man hat ja Übung mit der Sackkarre. Wenigstens muss die Ladung nicht mehr vom Handwagen in den Packwagen gehoben werden. Der Aufsichtsbeamte schaut bereits ungeduldig zur Uhr, als die Bretter wieder eingezogen werden. Ganze drei Minuten sind vergangen, als der Abfahrtspfiff ertönt. Mit kräftigen Auspuffschlägen setzt sich P8 pünktlich in Bewegung, der Dampf schießt hoch empor durch die enge "Garbesche Röhre", wie der Schornstein auch bezeichnet wurde. Zwei Stationen weiter westlich wird unser Zug in Hollenbek auf die Hagenower 56 653 treffen, die den Anschluss nach Mölln sicherstellt. Es ist eine umgebaute 55, deren Geschwindigkeit durch die Vorlaufachse auf 70 km/h heraufgesetzt werden konnte.
So war es damals auf der Kaiserbahn, bevor die Einheitslokomotiven Einzug hielten und die Baureihe 03 den D64 übernahm. Das war aber auch die Zeit, als in Bantin das "Wifo Zarrentin" errichtet wurde, ein unterirdisches Tanklager zu militärischen Zwecken. Die BR 41 brachte Ganzzüge mit Tankwagen aus Leuna, Schwarzheide oder Hemmingstedt nach Bantin, kurzum, es war mit der Beschaulichkeit vorbei und die Zukunft warf bereits ihre dunklen Schatten voraus. Als Kriegsfolge wurde die Stecke geteilt und in Mecklenburg zur Nebenbahn zurückgebaut. Hauptgleis und Überholgleis wurden als Reparationsleistung in die Sowjetunion verbracht, nachdem die ausgebauten Gleisjoche wochenlang die Ladestraße in Bantin blockiert hatten. Die Verladung jedoch, mit der Rampe und dem fliegenden Bretterverbund, blieb. Sie eignet sich wunderbar zur Umsetzung als Funktionsmodell, gerade auch für kleinere Bahnhöfe…
Dieser Text ist ein Ausschnitt des in der Zeitschrift "Spur 0 Lokomotive" erschienenen Artikels "Nur ein Güterschuppen".